Bruno und der olle Geie' Hansen

aus: Di kleine Geie'


"Duuu, habe ich Di' eigentlich schon von di olle Geie' Hansen e'zählt?", hörte ich neben mir Geiers vertraute Stimme.

 

Ich ahnte, warum er mir gerade in diesem Moment diese Frage stellte.

 

In der örtlichen Tageszeitung stand, dass der Gewerbeverein unserer Stadt einen Wettbewerb zum Thema "Bruno" veranstalte­te. Bruno ist ein Wal und das Maskottchen unserer Stadt.

 

Und ich saß an meinem Computer, weil ich auch eine Story dazu schreiben wollte.

 

"Di olle Geie' Hansen ist mein U'u'u'u'u'g'oßvate'!", und di wa' di be'ühmteste und beste Walfänge'. E' fuh' imme' ganz alleine auf sein Boot. Nicht wie di ande'en, di b'auchten imme' vie'zig bis fünfzig Seeleute fü' ein Wal", redete er einfach weiter.

 

"So? Ich wusste ja gar nicht, dass es damals in Brunsbüttel schon Geier gab. Ich dachte, Du wärst der erste."

 

"Neee, Walfang hat bei uns Geie'n eine lange T'adition. Und mein U'u'u'u'u'g'oßvate' ist von di damalige Kaise' ext'a nach B'unsbüttel geholt wo'den."

 

Ich sah ihn ungläubig an.

 

"Ja, da biste platt. Du weißt ga' nicht, was alles in uns Geie'n steckt, was wi' fü' Talente haben, und wo wi' schon alles dabei wa'en. Kann ich Di' ja mal alles e'zählen. Weißt Du, di Geschichte von unse'en Vo'fah'en wu'de schon imme' von Gene'ation zu Gene'ation übe'liefe't. F'ühe' am Lage'feue', heute am Compute'."

 

"Ach Geier", seufzte ich.

 

"Zuhören schadet ja nicht", dachte ich, "mal sehen, was ihm diesmal wieder einfällt."

 

Und zum Geier sagte ich: "Na, dann erzähl mal!"

 

Gleich wurde er geschäftig. Er zog sich seine rote Strickmütze auf den Kopf und machte es sich neben meinem Computer auf der Schreibtischkante gemütlich. Wenn er längere Beine hätte, hätte er diese wahrscheinlich übereinander geschlagen. Ging aber nicht, denn die waren ja ein wenig kurz geraten. Stattdessen tat er so, als würde er sie vom Tisch baumeln lassen.

 

"Was hast Du gegen di Länge von meine Geie'beine? Gefallen sie Di' etwa nicht?", krächzte er wütend.

 

"Nein, im Gegenteil", versuchte ich, ihn zu beruhigen. "Ich finde, sie haben genau die richtige Länge für Dich. Aber Du sagst doch selbst immer, dass Du ja so klein seist."

 

"Ach so." Er war wieder besänftigt.

 

"Was ist, soll ich jetzt e'zählen ode' nicht?"

 

"Doch, aber ich hole uns erst einmal einen Kaffee. Was hältst Du davon?", fragte ich den kleinen Vogel. Denn wenn er einmal redet, dauert es gewöhnlich etwas länger.

"Gute Idee, und b'ing Schokoküsse mit. Abe' di dicken, Du weißt schon, di' aus di Fe'nsehen."

 

"Zu Befehl, Käpt'n Ahab!"

 

Nachdem er genüsslich ein paar Schlucke Kaffee geschlürft und mehrmals in einen für ihn überdimensionalen Schokokuss gepickt hatte, legte er los.

 

"Also, wie ich schon e'wähnt habe...", begann er seinen Vortrag und dabei bemühte er sich, wichtig zu klingen und rieb sich mit seinem rechten Flügel das Kinn.

“Mein U'u'u'u'u'g'oß­vate' wa' di beste Walfänge' seine' Zeit. Habe ich eigentlich schon e'wähnt, dass di Kaise' ihn pe'sönlich ins Land geholt hat?"

 

"Ja, hast du, wo kam Dein Urururururgroßvater eigentlich her?"

 

"Aus No'wegen."

 

"Aber Hansen ist doch ein deutscher Name."

 

"Nie was von Völke'wande'ung gehö't?"

 

Der Geier pickte ein weiteres Mal in seinen Schokokuss, schlürf­­te Kaffee und redete weiter.

 

"Di olle Hansen, wie mein Vo'fah'e e'fu'chtsvoll von di Leute genannt wu'de, wa' oft aufs Mee' hinaus gefah'en. E' kam imme' mit ein gefangenen Wal zu'ück. E' fuh' stets mit di selbe Boot und mit di gleiche Ha'pune. Seine 'ote Ha'pune wa' so legen­dä', dass alle Walfänge' anfingen, ih'e Ha'punen auch 'ot anzupinseln. Soga' di Hemmingway hat mein U'u'u'u'u'g'oßvate' in "Di alte Mann und das Mee'" ve'ewigt."

 

"Soviel ich weiß, kam der alte Fischer aber mit einem Skelett nach Hause und es war auch kein Wal sondern ein Schwertfisch. Und der Mann, der Hemmingway dazu inspirierte, war kein Geier, sondern ein kubanischer Fischer."

 

"Wohe' willste das denn wissen?"

 

"Das weiß man eben."

 

"Ja Kunststück, bestimmt aus'n Fe'nsehen. Ih' guckt und di a’'me Geie k'iegt von di We'ne' daue'nd Fe'nsehve'bot. Und dann lasst Ih' di Schlauen 'aushängen."

 

"Nein, das habe ich gelesen."

 

"Pah, glaubst Du imme' alles, was in di' Zeitung steht?"

 

"Für gewöhnlich stimmt doch, was sie drucken, außer vielleicht in der Yellow Press. Außerdem liest Du doch auch täglich unsere Zeitung."

 

"Ja, abe' ich mache mi' davon ein eigenes Bild."

 

"Geier, Du bist unverbesserlich. Erzähl lieber weiter! Ich würde meine Geschichte nämlich ganz gerne heute noch schreiben."

"E'st eine kleine Stä'kung." Er pickte ein großes Stück aus seinem Schokokuss und kaute genüsslich.

 

"Wo wa' ich stehengeblieben?", fragte er mit wichtiger Miene.

 

"Ach ja. So ging das Jah' fü' Jah'.

Einmal, als di olle Geie' Hansen wiede' mal aufs g'oße Mee' hinaus gefah'en ist, wa' so fü'chte'liche' Stu'm und so g'oße Wellen, dass Hansens Boot zu kente'n d'ohte.

Es kente'te zwa' nicht, abe' di Steue'ung wa' geb'ochen, das Boot wa' manöv'ie'unfähig. Da tat e' einen hei­ligen Schwu'.

E' schwo', dass e' nie wiede' auf Walfang gehen wü'de, wenn e' ge'ettet wü'de.

Da legten sich Wind und Wellen und ein junge' Wal schwamm neben das Boot.

Di Wal blies verb'auchte Luft aus sein Blasloch auf di Sti'n und guckte mein Vo'fah'e an. Dann schob di Wal das Boot bis in di B'unsbüttele' Hafen.

Wäh'end di lange Fah't haben sie sich angef'eundet und e' hat di Wal "B'uno" getauft.

Mein U'u'u'u'u'g'oßvate' hat natü'lich sein Ve'sp'echen gehalten und hat nie wiede' ein Wal gejagt.

So sind wi' Geie' eben!

Und mein Vo'fah'e und di Wal haben sich noch oft auf di Mee' get'offen.

Manchmal kam di Wal auch, wenn di olle Geie' Hansen am Ufe' saß."

 

"Und wenn sie nicht gestorben sind."

 

"Das ist alles wi'klich wah'", krächzte der Geier.

 

"Ja klar, und wieso habe ich nie davon gehört?"

"Weil wi' Geie' keine Angebe' sind."

 

Dann setzte er noch einen drauf.

 

Er legte seinen runden, rosafarbenen Kopf in den Nacken, schaute mich ganz ernst an, bemüht, ein umwerfendes Charmeur-Gesicht zu machen und sagte: "Können diese Augen lügen?!"

 

Ich musste so lachen, dass ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckte.

 

"Jägerlatein  -  Anglerlatein  -  Geierlatein!"